Gedankenweitsprung

Von Philosophie bis Pixel: Gedankengänge und kreative Welten


Existiert die Welt noch, wenn man die Augen schließt?

Das Ende des Semesters naht und ich werde die Ehre haben, mehrere Hausarbeiten schreiben zu dürfen, eine davon betrifft die Phänomenologie – die Philosophie rund um den menschlichen Erkenntnisgewinn.

Dabei durfte ich George Berkeley lesen, der Ende des 17./ Anfang des 18. Jahrhunderts gelebt hat. Am bekanntesten ist sein Statement „esse est percipi“ oder auf Deutsch: „Sein ist wahrgenommen werden„.

Bei der Wahl meiner Seminare habe ich ihn natürlich gegoogelt – Wikipedia ist vielleicht nicht die beste Quelle für Arbeiten, aber gut um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen – und dieser Satz hatte direkt mein Interesse geweckt. Sein ist wahrgenommen werden, eine Antwort, die mir vorher so noch nicht begegnet war und über die ich mehr wissen wollte.

Anscheinend ein ziemlicher hot take

Wie mir gesagt wurde, wurde dieser Satz durchaus kritisch gesehen. Das ergibt auch irgendwie Sinn, wenn man nur die Aussage alleine betrachtet. Das Buch, das dazu gehört (A treatise concerning human understanding oder: Eine Abhandlung über die Prinzipien menschlicher Erkenntnis) geht natürlich wesentlich eingehender auf Berkeleys Argumentation ein, die dann letztlich in dem Satz mündet.

Die ultimative Dreieckigkeit

Bevor Berkeley auf seinen Satz eingeht, analysiert er die Art und Weise, wie Menschen Dinge wahrnehmen und lernen. Dabei geht es darum, den Leser immer wieder dazu zu ermutigen, anhand von Beispielen zu ermitteln, wie genau ihr Bewusstsein funktioniert.

Hier ein einfaches Beispiel: Dem Dreieck als geometrische Form liegt das Konzept zugrunde, dass es drei Ecken hat und eine Winkelsumme von 180°. Sich ein Dreieck vorzustellen ist keine große Kunst, aber wie sieht es damit aus, sich das Konzept eines Dreiecks vorzustellen? (Überspitzt ausgedrückt, die absolute Dreieckigkeit).

Ich persönlich kann mir bei dieser Frage höchstens viele Dreiecke hintereinander vorstellen. Sicherlich ist es auch möglich, sich die Formel für ein Dreieck vorzustellen oder dergleichen, aber das ist ja erstmal nicht das Dreieck (Irgendwie habe ich nie so oft in kurzer Zeit „Dreieck“ geschrieben).

Ein anderes Beispiel: Kannst du dir Farbe ohne Ausdehnung vorstellen?
Ich kann es tatsächlich nicht.

Das sind kleine Experimente, in denen es darum geht zu zeigen, wie die eigene Vorstellungskraft funktioniert, was im Bereich unseres Denkens und Wahrnehmens ist und was nicht. Dabei fungiert die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen als Zeichen dafür, ob ein Begriff Bedeutung hat oder nicht mit der einfachen Konsequenz:

Was ich nicht denken kann, hat keine Bedeutung

Wenn ich Begriffe verwende, die mir jedoch nichts sagen – zum Beispiel Farbe ohne Ausdehnung – dann ist das was ich sage bedeutungslos. In Anbetracht dessen, dass die Sprache in erster Linie dazu dient, anderen Ideen zu kommunizieren, ist das kontraproduktiv. Und das schien etwas gewesen zu sein, was George Berkeley gewaltig gegen den Strich ging und was er zu ändern versuchte.

Dabei hatte er, wie ich finde, durchaus einen Punkt. Nicht nur, dass Menschen Begriffe verwenden, die in sich eigentlich „leer“ sind – sie tun auch gerne so, als würden sie verstehen, was gesagt wird. Das lässt die Kommunikation schwammig werden. Es muss nicht mal um solche abgedrehten Konzepte gehen, nicht übereinstimmende oder unverständliche Begriffe sind einfach nie hilfreich.

Doch was ist nun mit dem Satz?

Die zuvor grob umrissene, gut strukturierte Argumentation mündet im esse est percipi Satz und die Botschaft ist diese: Etwas, das existiert, muss von einem Bewusstsein wahrgenommen werden können. Wenn wir über die ultimative Dreieckigkeit reden, dann kann sich niemand etwas darunter vorstellen (außer vielleicht ein sehr schönes Dreieck, das aber nicht dreieckiger ist als alle anderen). Folglich existiert es nicht.

Anders sieht es mit einem Dreieck generell aus. Oder mit den Bäumen draußen. Doch das führt zu der Frage: Wenn diese Dinge nur sind, wenn sie wahrgenommen werden, wie sieht es dann aus, wenn gerade keiner da ist? Sind die Bäume draußen da, wenn niemand draußen ist oder nach draußen schaut?

Natürlich ist die Antwort auf die Frage seitens Berkeley: Die Bäume existieren immer noch. Es gibt nämlich nicht nur unser Bewusstsein.

Und hier wird es komplett verrückt, denn er bringt als gläubiger Bischof schlussendlich Gott mit ins Spiel. Dabei ist anzumerken, dass er mit Gott nicht unbedingt den christlichen Gott meint, sondern ein Bewusstsein, das uns und die Welt um uns herum wahrnimmt und somit dafür sorgt, dass wir existieren.

Wenn Gott ins Spiel kommt…

…schalte ich gerne ab. Ich bin eher Agnostikerin und es fühlt sich so an, als würde Gott gerne als Erklärung verwendet werden, wenn es keine „bessere“ gibt. Und so ist es auch in diesem Fall. Aber ich muss sagen, dass ich diese Auffassung gar nicht so unplausibel finde. Dabei stellt sich nur die Frage, wer dann wiederum Gott wahrnimmt. Andererseits befindet sich Gott außerhalb unserer Wahrnehmungsfähigkeit – schließlich steht sein Bewusstsein über unserem – und wenn wir ihn schon nicht begreifen können, dann erst recht nicht alles weitere.

Vielleicht lassen sich diese Dinge irgendwann auch eingehend beantworten und wir finden die Lösungen für Rätsel, die uns aktuell noch unlösbar erscheinen – insbesondere mit dem Fortschritt von KIs – bis dahin sind solche Standpunkte, selbst wenn sie schon etwas älter sind, durchaus eine Betrachtung wert!

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